Weihnachtsgeschichte

Altshausen im Advent 2021

Liebe Mitglieder und Freunde der Hermannus-Gemeinschaft,

vielleicht geht es Ihnen ja ähnlich: in der Vorweihnachtszeit sind wir eher empfänglich für
Geschichten und Erzählungen, die uns zu Herzen gehen, die uns im Innersten berühren, vielleicht
sogar an die eigene Kindheit erinnern. Selbst eine Oma, die „online“ und dem Fortschritt
gegenüber aufgeschlossen ist, lässt sich von einem unschuldigen Kind überzeugen: es gibt etwas,
das alles Menschliche überragt – man muss sich ihm nur zuwenden und vertrauen.

Nur das Christkind war online

Es ist Weihnachtszeit. Alles könnte so schön sein. Aber Sarah und Dominik sind in großen Sorgen.
Ihr zweites Kind, die fünf Wochen alte Hanna, ist im Krankenhaus. Nach einer Infektion klingt das
Fieber trotz Antibiotika einfach nicht ab. Die Eltern des vierjährigen Lukas sind darum fast mehr im
Krankenhaus als zu Hause. Deshalb ist die Oma nun da. Sie kann es kaum noch ertragen, wie Sarah
mit Ringen unter den Augen immer wieder auf die leere Wiege schaut und furchtbar leidet.

Oma kümmert sich nun um den kleinen Lukas. Heute, nach dem Mittagessen, nimmt sie ihn mit in die Kirche direkt nebenan. Eine schöne Weihnachtskrippe ist da aufgestellt. Das Christkind liegt im Krippenstroh und hat keine Decke. Sicher friert es, meint Lukas und denkt an sein warmes Zuhause.
Am späten Nachmittag schleicht sich Lukas aus dem Haus und huscht noch einmal zur Kirche hinüber. Dort ist er ganz allein. Er steht vor der großen Weihnachtskrippe und schaut das frierende Jesuskind an.

Dann greift er plötzlich zu, nimmt das Christkind aus der Krippe und rennt mit ihm nach Hause, direkt in sein Zimmer.

Bald kommen auch die Eltern aus dem Krankenhaus, um nach Lukas zu schauen und etwas zu essen. Sie sind sehr traurig, das merkt er sofort.

Um die kleine Schwester steht es immer schlimmer. Vor allem Sarah nimmt das so mit, dass sie am Ende ihrer Kräfte ist. Die Nachtwachen bei ihrem Baby hinterlassen ihre Spuren.

Oma rät ihr, sich nun einfach richtig hinzulegen und Dominik allein ins Krankenhaus fahren zu lassen. So wird es auch beschlossen, und Sarah schläft völlig erschöpft ein.

Als alles ruhig ist und die Oma schon ruft, dass sie ihn bald ins Bett bringen will, hat Lukas eine Idee. Wenn Mama aufwacht und in der Wiege in ihrem Schlafzimmer das Christkind sieht, ist sie sicher nicht mehr so traurig. Vorsichtig legt er das Jesuskind, das ganz fröhlich seine Hände ausbreitet, in die Wiege von Hanna.

Nebenan sitzt Oma am PC. Im Internet sucht sie Alternativen zur Antibiotika-Therapie. Doch sie findet nichts Gescheites, was sie als Laie verstehen könnte, und in den Beratungsforen ist niemand online.

Sie sucht weiter bei Esoterik. Unglaublich viele Angebote sind da zu finden. Aber auch hier ist niemand, gar niemand online. Oma hätte alles versucht. Enttäuscht und traurig fährt sie den PC runter und bringt Lukas ins Bett.

Als Sarah mitten in der Nacht aus wirren Träumen aufwacht, fällt ihr erster Blick wie gewohnt auf die Wiege. Träumt sie noch? In der Wiege liegt ein Christkind aus Holz und streckt ihr beide Hände entgegen. Nun ist sie ganz sicher, dass es ein Traum ist.

„Du bist so traurig“, sagt das Kind.

„Kein Wunder, unsere Hanna ist schwer krank und liegt im Krankenhaus statt in der Wiege, wo du jetzt bist.“

„Du hättest natürlich lieber Hanna da?“ erkundigt sich das Kind.

„Oh, weißt du, sonst bist du ja in der Kirche. Da war ich schon lange nicht mehr. Du bist mir fremd geworden.“

„Aber du bist mir nicht fremd! Ich habe deinen Lebensweg immer verfolgt“, erwidert das Christkind. „Als du noch klein warst, hast du mir immer Blumen ans Bildstöckchen gebracht. Damals war ich für dich noch allmächtig und voll Liebe. Du warst überzeugt, dass ich immer helfen kann. Und heute?“

„Allmächtig! Das ist zum Lachen. Keiner ist allmächtig. Das Leben ist nicht Schöpfung, sondern Evolution. In der Wissenschaft überblickt niemand mehr alles. Und die Forschung läuft aus dem Ruder. Was soll da das Reden von Allmacht?“

Das Kind lächelt. „Ich meine nicht eine allmächtige Welt, sondern Gottes Allmacht!“

„Ja, die gab es auch einmal für mich – da war das Leben noch schön und unbeschwert. Aber jetzt kann ich es nicht mehr glauben. Du weißt genau, was über viele Priester erzählt wird.“

„Warum lenkst du vom Thema ab? Ich bin immer noch da – in der Kirche und auch bei euch in der Familie.“  Sarah staunt. „Wirklich?“ Dann denkt sie nach. „Du warst für mich auch die Liebe; aber jetzt, wo ich lange nichts mehr von dir wissen wollte, wirst du für mich sicher kein Wunder wirken wollen.“

„Ja, glaubst du denn, vor zweitausend Jahren war es besser? Gerade darum bin ich Mensch geworden – für die Menschen, die so oft nichts von mir wissen wollen. Ich liebe euch genauso, wie die Menschen zu meinen Erdenzeiten. Ich will, dass ihr wieder froh seid. Vertraue mir – und schlaf weiter.“

Viel später erwacht Sarah, als ihr Handy klingelt. Dominik ist dran. Er ist ganz aufgeregt und sprudelt die erlösende Botschaft heraus, alles sei gut. Ein Arzt habe ein neues Medikament gebracht, und nun habe Hanna die Krise gemeistert und schlafe ruhig.

Nachdenklich schaut Sarah auf das lächelnde Christkind in Hannas Wiege. Es sagt nichts. Oder doch? Könnte es nicht doch sein? …

Am Morgen bringen Sarah und Lukas dem erstaunten Küster das Christkind zurück. Sarah dankt Gott in der Kirche für seine Hilfe. Sie bleibt sogar einen Moment vor dem Tabernakel stehen, ganz nachdenklich …

Als Oma alles erfährt, sagt sie:  „Nur das Christkind war online!“

Nacherzählung einer Geschichte aus der Schweiz

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