Salve Regina – Predigt

Predigt gehalten auf der Rückkehr von der Ersten württembergischen HEILIGLANDFAHRT am
3. September 1904 auf dem Pilgerschiff „Tyrolia“ auf dem Mittelmeer von Hochwürden
Herrn Oberpräzeptor Schreitmüller (Friedrichshafen).

GELIEBTE MITPILGER!

Gott sei Dank! Wir haben das Heilige Land gesehen und sind wieder auf dem Meer. Unsere
Gedanken eilen bereits voraus in die Heimat zu den Lieben. Aber bis wir selber dort sind, ist’s noch
weit. Da geht es noch durch dieses Meer und die Heimfahrt mit ihren Gefahren. Da mag es
manchem noch kommen wie einst dem Sänger von St.Gallen: „MEDIA VITA IN MORTE SUMUS“ –
„Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben. Wer ist’s, der uns Hilfe bringt?“ …
Wer wird uns dieses Angstgefühl, das sich oft unser bemächtigen will auf diesem unruhigen Meer,
nehmen oder wenigstens lindern?
Meine Lieben, es ist der Gedanke an unsere himmlischen Schutzheiligen, vor allem an SIE, die
Königin der Heiligen, MARIA! Wie bei der Hinfahrt, so soll auch auf der Rückfahrt unser frommes
Gebet der Muttergottes gewidmet sein. Und zwar möchte ich reden von einem bekannten Gebet
oder Lied, das einst von den Lippen der Kreuzfahrer millionenfach widerhallte und das uns nun auf
der Kreuzfahrt durchs Leben doppelt lieb und wert sein soll: Es ist das „SALVE REGINA“.
Damit soll zugleich der Dank abgestattet sein an einen Heiligen unserer Heimat, dessen Bild uns
auf der Pilgerfahne begleitet hat, des seligen HERMANNUS CONTRACTUS von der Reichenau im
Bodensee, der das „Salve Regina“ verfasst hat.
Nehmen Sie diese meine schwachen Worte unter den obwaltenden Umständen als einen letzten
Gruß der Gottesmutter vom Berge KARMEL und von SION her.
Das „Salve Regina“ zerfällt in drei Teile, welche in schönster Weise des Erdenpilgers Lob, seine
Klage und seine Bitte an Maria zum Ausdruck bringen.

I.

SALVE REGINA! So grüßen wir Maria in der Sprache des alten Rom. –
Gegrüßet seist du, Königin! Die Fundamente, die Rechtstitel ihres Königtums liegen auf heiligen
Bergen, in ihrer einzig dastehenden lebensvollen Verbindung mit dem Sohne Gottes. Das Reich der
Königin ist das Reich des Königs, dessen MUTTER Maria zugleich ist, es ist das Reich des Königs
Jesu Christi.
Mit Recht sagt deshalb der hl. Bernardin von Siena: „Soviele Geschöpfe dienen der Jungfrau, als
der Dreifaltigkeit unterworfen sind (serm 61), also vom Perlengrund des Meeres bis zum
Sternenzelt, vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang, vom Säugling in der Wiege bis zum
Cherub an Gottes Thron. In allen Höhen und Tiefen, allen Weiten und Breiten ist Marienland. Wo
nennt eine Königin ein solch Land ihr eigen? Wir dürfen aber auch sagen, wo rühmt sich ein Land
einer solchen Königin?
Maria ist Mutter Gottes, die unendliche Majestät ihres Sohnes verleiht auch ihr gewissermaßen
unendliche Würde. Es ist aber Gott eigen, mit der Würde zugleich auch die nötige Ausstattung zu
verbinden. Nicht umsonst sagte der Engel: „Gegrüßt seist du voll der Gnaden!“ – Jedes Tröpflein
Gnade überstrahlt allen Perlen-, Sternen – und Sonnenglanz. In welcher Herrlichkeit erstrahlt
demnach Maria als Königin, im „Salve Regina“ begrüßt!
MATER MISERICORDIAE, Mutter der Barmherzigkeit! – Mutter! Wer ergründet je dieses Wort in
seiner Liebe, seiner Treue, seiner Zartheit und Stärke. Welch liebe Bilder zaubert’s uns vor die
Seele: MARIA, Mutter und gar mit dem Zusatz: Mutter der BARMHERZIGKEIT. Das Herz einer
Mutter ist ohnehin voll Erbarmen. Es hat etwas von dem Herzen dessen, von dem die Kirche sagt,
dass es ihm eigen sei, sich alle Zeit zu erbarmen und zu verschonen. Wie erbarmungsreich muss
dann das Herz Mariens sein! Der unendlich barmherzige Gott ist aus ihr Mensch geworden:
gewiss, sie ist in vollem Sinne: MUTTER der BARMHERZIGKEIT.

VITA, DULCEDO, unser Leben, unsere Süßigkeit! So mag wohl der Wanderer in der Wüste eine
Oase begrüßen und in ihr den labenden Quell. In der Wüste dieses Lebens ist es MARIA, welche
uns Leben gibt, nicht das Leben, welches mit der Blume des Feldes aufblüht und morgen welkt,
sondern das ewige Leben, das Leben der Gnade. Wenn der Erdenwanderer sich an dieser Quelle
niederlässt, so ruft er wonnetrunken: Du unsere SÜßIGKEIT, sei gegrüßt! – Wie schön wäre das
Leben in dieser Oase! Aber der Wanderer muss scheiden! Sein Ziel liegt jenseits der Wüste. Doch
ehe er scheidet, stärkt er sich mit dem Gedanken: Maria ist meine Hoffnung!
ET SPES NOSTRA! „Unsere Hoffnung“, sei gegrüßt! Er schaut auf zu Maria, als dem lichten Stern,
der mild über seine Pfade wandelt und ihn nie verlässt, entglüht er ja doch einem Mutterherzen,
das die Fülle der Liebe birgt. In diesem Vertrauen setzt der Wanderer seinen Weg weiter und
nochmals rückschauend ruft er:
„SALVE!“ – „Sei gegrüßt!“
Welche Hoheit entschleiert uns doch dieses Lied. Hinter jedem Wort steht eine Welt von Größe
und Güte. Doch wie bereits der letzte Gruß, der Appell an Maria als unsere Hoffnung ahnen lässt,
wechselt das Lied seinen Ton.

II.

Der Sänger sieht sich auf der Wanderung durch diese Erdenwüste: Elend um Elend umgibt ihn,
Jammer um Jammer taucht vor ihm auf. Was Wunder, wenn er klagend in die Saiten seiner Harfe
greift. Und der Grund zur Klage ist ein zweifacher: einerseits das Leid ob des verlorenen
Paradieses, andererseits das Weh ob des Ortes der Verbannung.
„AD TE CLAMAMUS, EXSULES FILII EVAE“ – „Zu dir schreien wir elende Kinder Evas“. Wenn dem
Kind ein Leid zustößt, dann schreit es wohl auf und ruft der Mutter. Ihr darf es alles sagen, alles
klagen. Und es tut dem Leidenden schon wohl, wenn es nur ein mitleidiges Herz gefunden hat:
Geteilter Schmerz ist halber Schmerz! So rufen wir Maria, wir elende Kinder Evas, Elend heißt
verbannt..
Verbannt sein aber fern der Heimat hat immer sein Herbes. Du magst dem Sohn des Nordens das
sonnigste Plätzlein des Südens zum Verbannungsort anweisen, der Gedanke, ich bin verbannt, darf
nicht in die Heimat, liegt schwer auf ihm. Und je schöner die Heimat, welcher er beraubt ist, umso
schmerzlicher ist die Verbannung. Wer aber schildert das Land, welches der Sänger im „Salve
Regina“ seine Heimat nennt.
Kinder Evas! Ach, welch schönen Landes war sie die Königin; welcher Heimat hat sie uns beraubt?
Es ist das Land, an das die Völker nicht denken können ohne tiefes, tiefes Weh: das verbotene
Eden, das Paradies mit seinem Sonnenblick, seiner Blumenfülle, mit dem Kleide der
Unsterblichkeit und dem wandelnden Gott in der Abendkühle, vom Geist des Herrn selbst
geschildert als ein Garten der Lust und Ort der Wonne. Kein Wunder also, wenn der Verbannte,
solcher Heimat und ihres Verlustes gedenkend, auffährt wie in hellem Schrei und dies laut beklagt
vor der Mutter, vor welcher das Kind sich geben darf, wie’s ihm ist, und dazu vor jener Mutter,
welche als zweite bessere Eva uns eine neue Heimat gebracht hat.

„AD TE SUSPIRAMUS GEMENTES ET FLENTES! – „Zu dir seufzen wir Trauernde und
Weinende!“ Noch ist ein Leid, welches den Schmerz der Verbannung vertieft. Wohin sind wir denn
verbannt?
„IN HAC LACRIMARUM VALLE!“ „Ins Tal der Zähren!“ Ins Tränental! – Von denen im Reich der
Sterne singen die Völker: Sie wandeln alle Morgen zu einem Strom und trinken sich dort mit
goldenen Schalen Jugend und Leben, Kraft und Wonne.
Durch das Land unserer Verbannung zieht auch so ein Strom und gibt ihm, wie andere Flüsse ihren
Tälern, seinen Namen „Tränental“; und es kommen die Menschenkinder, sie alle, in gesonderten
Scharen, Prozession um Prozession, Kreuz um Kreuz, und weinen ihre Tränen hinein. In
unabsehbaren Reihen nahen die Armen mit ihrem Kreuz und weinen die bitteren Tränen der
Armut. Es kommen die Versuchten. Auf ihren Wimpern stehen die Tränen endlosen Mühens, und
der Strom wälzt sich vorbei an all den Kranken-, Siechen- und Irrenhäusern und wird von
Tausenden von Flüssen verstärkt. Und es kommt auch die verführte Unschuld und weint die
Tränen des verlorenen Friedens, und ganz unten an der Mündung stehen die Judasse und starren
in die kalte Träne der Verzweiflung hinein.
Und sie alle sollen nicht seufzen und klagen an den Tränenströmen, da sie des verlorenen
Paradieses gedenken. Und wer sollte nicht DERJENIGEN klagen dürfen, welche wie keine zweite
aus dem Tränenstrom getrunken, und die uns liebt, mehr als eine irdische Mutter ihr Kind lieben
kann.
Doch der Mutter klagt ihr Kind nicht umsonst. Sie trocknet seine Zähren und spricht ihm manch
liebes Wort ins Herz hinein; und bald vergisst es sein Leid. So stillt sich auch unsere Klage am
Herzen Mariä – das Kind geht wieder zum Spiel, der Mann muss wieder zur Arbeit; den Pilger
drängt’s zur Weiterreise. Aber ehe sie scheiden von der lieben Mutter, erinnern sich diese
nochmals an ihr viel versprechendes Wort. Auf die verklungene Klage folgt ein kindlich Flehen.

III.

„Wohlan denn, unsere Fürsprecherin, wende deine barmherzigen Augen uns zu, und nach diesem
Elend zeige uns JESUM, die gebenedeite Frucht Deines Leibes!“
Nächst dem Gebet des Herrn gibt es wohl kaum ein solch kindliches und doch so tiefes Gebet wie
diese Bitte am Schluss des „Salve Regina“.
EIJA ERGO, ADVOCATA NOSTRA – „Wohlan denn, unsere Fürsprecherin!“
Wie herrlich hebt es an. Also gilt: Du hilfst, es ist schon ausgemacht. Maria hat es dem Kinde in
seine Tränen hinein versprochen. Sie ist ja die Fürsprecherin, lateinisch „Advocata“. Und was tut
nicht ein Advokat für seine Klienten und erst eine Mutter, wenn sie zum Advokaten ihres Kindes
wird. „Wohlan denn, unsere Fürsprecherin!“
Und was wollen wir denn von ihr? Bloß zwei Blicke. Aber von welcher Bedeutung! Den einen mehr
für die Zeit, den andern für die Ewigkeit. Hier ihren Mutterblick auf uns, dort unsern Kindesblick
auf Jesus.

„ILLOS TUOS MISERICORDES OCULOS AD NOS CONVERTE!“ – „Wende deine barmherzigen
Augen uns zu!“ – Dem Kinde ist schon halb geholfen, wenn die Mutter die böse Wunde nur sieht.
Das Mutterauge bannt alles Böse, lindert die Schmerzen. Von Maria nun singen wir: „Wende Deine
barmherzigen Augen uns zu“. Das sind Worte, so vielsagend, so vertrauenserweckend, so dass wir
sie nie ganz und voll auszudenken vermögen. Wir appellieren da an die ganze reiche Geschichte
von der MATER MISERICORDIAE. Wie manche Unschuld hat ihr Mutterblick schon gestärkt, wie
manche Träne gestillt, Betrübte getröstet, Sünder bekehrt. Zeuge ist unser Wallfahrtsort! Diese
Deine barmherzigen Augen, o wende sie auch u n s zu, o Maria, Du Stern im Meere unseres
Lebens!
Den Höhepunkt kindlichen Flehens, goldlauteren Heimwehs nach dem Himmel erreicht unser
Gebet in der Bitte:
„ET JESUM BENEDICTUM FRUCTUM VENTRIS TUI NOBIS POST HOC EXSILIUM OSTENDE!“-
„Zeig uns Jesus!“ Jesum schauen, das ist unsere Vollendung, Wenn einmal dein Blick in sein Auge
sich versenkt, dein Herz ruht am Herzen Jesu, dann strahlt die LUX PERPETUA, das ewige Licht,
dann umfängt dich die ewige Ruhe. „Zeig uns Jesum nach unserem Elend!“ Allerdings wäre es eine
Wonne wie keine, schon auf Erden Jesum zu schauen wie ein heiliger Franziskus und Antonius von
Padua. O dessen sind wir Durchschnittsmenschen nicht würdig. „So zeig uns ihn wenigstens nach
unserem elenden Leben. Aber recht bald zeig uns Jesum, die gebenedeite Frucht Deines Leibes. Er
ist Dein Kind, und die Mutter darf doch ihr Kind zeigen, wann und wenn sie will. Maria ist nie
größer, als wenn sie ihr Kind auf dem Arme trägt. „O zeig es uns, Du holde Mutter mit dem
Himmelskinde, das jedes Leiden uns versüßt!“
Es ist, als ob sie uns zugewinkt hätte, als ließe sie uns im Voraus etwas ahnen von dem Glücke
dieses Schauens; und unsere Antwort ist kindlich Lob und Liebe.
O CLEMENS, O PIA, O DULCIS VIRGO MARIA! – O gütige, o milde, o süße Jungfrau Maria!“
Wie es angefangen mit einem Lobpreis, so schließt das „Salve Regina“ wieder, sein erster Sang,
sein letzter Klang: Dort mehr Feierton und Festesstimmung, hier kindliche Freude ob ihrer
Muttergüte. Das Kind umarmt seine Mutter und küsst sie. Und so sagen wir der Muttergottes: Du
bist doch eine gütige, eine milde und eine süße Jungfrau, O Maria!
Wie wundersam ist doch dieses Gebet. Alle Stimmungen der Seele finden in ihm ihr Wort, alle
Lagen des Lebens ihre Zeichnung. So lass denn das „Salve Regina“ recht oft auch von deinen
Lippen tönen. – Noch mehr! Lass jedes Wort sich in dich hineinleben und sei und bleib ein echtes
Marienkind! Jedes allzu freie ärgerliche Benehmen, jedes vorlaute, rebellische,
allesbesserwissenwollende Wesen – es sei von uns ferne! Lass jedes Wort des „Salve Regina“ in
dich hineinleben und dich in jedes Wort, dass du selber ein Lied werdest auf die hohe Königin, ein
wandelndes „Salve Regina“ dann ruht auf dir ihr Mutterauge. Das ist auch die Sängerschule fürs
hohe Lied dort oben. Dort ist erfüllt: ZEIG UNS JESUM, und dein ewiger Gruß „O GÜTIGE, O
MILDE, O SÜßE JUNGFRAU MARIA!